Institut für
Ästhetische Praxis
Berlin
Institut für
Ästhetische Praxis
Berlin
Blüten
Ausgewählte Notizen und Berichte
aus den Treffen des Instituts
4. September 2025, Jasebeck
Gilda:
Im Zuhören wird das Empfinden wie eine Haut, auf der du Spuren hinterlässt. Deren Klänge dringen in die Tiefe und treffen dort manchmal auf einen blinden Fleck. Der dient als Leinwand, auf der nicht mehr ganz Du und nicht völlig Ich miteinander ins Spiel kommen.
Philipp:
Ein Gedanke ist eine universelle, eine Empfindung ist eine singuläre Struktur. Gedanken brauchen Menschen, die sich ihrer Sinnlichkeit entledigen können. Empfindungen brauchen die Verkörperung – das Erwachen an den Sinnen, am Leib, am Leib der Welt.
Vor dem Deich regnet es Wallnüsse. So manche landet direkt auf dem weissen Tisch des Gastmahls. Doch gespeist wird hier nicht. Weder Walnuss noch Mahlzeit. Es sind vielmehr die Gäste selbst, die hier mahlen. Gemälde ihrer selbst und einander. Gemahlen wird das zu Denkende. Jede sucht ihren Zubiss und mahlt sich dann in die Gedankenregionen des anderen Gastes. Doch was den Sinnen obliegt bleibt zwischen den Anwesenden. Eine Druchdringung plastischer Sfären. Sfären die den Kosmos der Vereinzelten umschreiben und ihre Herzen als Mittelpunkt tragen. Feuerstätten bilden sich auch dazwischen. Mancher Funke fliegt, manche Kohle wird zum schneidenden Kristall.
Die Sprache dieser Zeilen trägt ihren ganz eigenen Horizont ins Geschehen: Wortbilder, Gedankenspiele, Sinnahnungen. Die Sprache als Denkende und Beschreibende balanciert und tänzelt zwischen feurigem Sinn und architektonischer Vernunft. Keiner Dynamik muss sie sich ergeben. Behauptet sich selbst und verwirft sich sogleich im folgenden Wort. Doch sie will Dich einnehmen, deiner habhaft werden. Etwas sagen, was Dich trifft. Was Dich abholt zum Fluge oder Tauchgang in die Klüfte und Türme der Seele.
Juni 2024, Jasebeck
Gilda:
Als sei der Mensch eine Maschine. Als trübe sich die Linse des Menschseins mit Ruß. Als wäre Gottes Wort gebunden.
Zeitfenster zerstückeln meine Anwesenheit, und auch meine Anmut, selbst die deine, was genau so eine Frechheit ist. Ästhetische Praxis ist der Widerstand dagegen. Sie verweigert sich der Hetze, auch jener, die in Verallgemeinerungen liegt. Sie tut das Gegenteil. Sie webt mich zusammen, und verwebt mich mit dir, ohne dass ich verloren gehe. Oder vielmehr tue ich das selbst, aber wie von meinem Kosmos aus gelenkt, als griffe meine Sternenexistenz in das Geschehen ein. Ich werde empfänglich, durchlässig für eine neue Heimat.
Niemals hätte ich vorhersehen können, wie sich Brunhild ihre Schnürsenkel bindet. Tapsig kindlich erschien es mir. Sie hielt sich eine große Schlaufe und umwickelte sie langsam mit dem anderen Schnürband, als drehe sie eine Runde. Es war schön zu sehen, weil es mich staunen ließ. Einen kurzen Moment verstand ich, was sie meint, wenn sie meint, ihr Name passe nicht zu ihr. Dann sah ich ihre alt gewordenen Hände, kraftvoll und zugleich fein, vor allem in der goldseidigen Haut, sanft im Verhältnis zur Welt. Diese Hände kochen und denken auch so, wie sie Schnürsenkel binden. Sie betasten und vollziehen in ihrer ganz eigenen Art die Dinge. Und Maike, neben ihr, kam mir an dem Abend wie die Fischerkönigin vor. Sie saß müde auf ihrem Thron, eine Decke über den Beinen, und ich wusste, die Frage nach ihrem Leid kann nicht mehr einfach nur gestellt werden. Diese Zeiten sind vorbei.